In der heutigen Zeit wird bei immer mehr Kindern eine hyperkinetische Störung diagnostiziert – auch bekannt als Hirnstoffwechselstörung. ADHS (mit Hyperaktivität) und ADS (ohne Hyperaktivität) sind Begriffe, die jeder Elternteil und Lehrer inzwischen kennt. Doch stellt sich die Frage: Gibt es wirklich mehr betroffene Kinder oder sind wir einfach nur sensibilisierter? Diese Frage bleibt offen, aber eines steht fest: Früher gab es viele Kinder, die als „Zappelphilipp“ oder „Träumerinchen“ bekannt waren, die irgendwie durch das Schulsystem mitliefen – meist ohne besondere Unterstützung. Sie wurden weder gefördert, noch gab es therapeutische Ansätze. Heute fällt diese Problematik nicht mehr unter den Tisch, doch die Unterstützung bleibt oft auf der Strecke.
Wenn man einen Blick auf die Erwachsenen von heute wirft, stellt man fest, dass nicht wenige erst im Erwachsenenalter erkennen, dass sie bereits in ihrer Kindheit unter ADHS oder ADS litten. Stattdessen wurden oft andere Probleme wie Depressionen oder Suchtverhalten diagnostiziert – während die ursprüngliche Störung im Dunkeln blieb.
Warum die heutige Zeit für Kinder mit ADHS/ADS eine Qual ist
Früher konnten Kinder mit ADHS oder ADS weitgehend unauffällig durch das Schulsystem gehen – ohne spezialisierte Förderung und oft ohne nennenswerte Unterstützung. Heute jedoch sticht das Problem schon beim Schuleintritt deutlich hervor. Kinder kämpfen nicht nur mit den klassischen Schulanforderungen, sondern auch mit unerklärtem Frust und Lernblockaden. Häufig zeigt sich das Ausmaß dieser Probleme erst nach Monaten von Hausaufgabenstress und gescheiterten Versuchen, den Anforderungen gerecht zu werden. Für Eltern und Lehrer wird es spätestens in der 2. oder 3. Klasse offensichtlich, dass hier mehr dahinter steckt. Dann wird die Diagnose angestoßen, aber der Weg bis zur offiziellen Feststellung zieht sich oft über Monate – dank überlasteter Kinderpsychiater. Wenn endlich die Diagnose gestellt wird, gibt es vorübergehende Erleichterung: Endlich eine Erklärung für das Chaos.
Doch die Realität ist bitter: Die Diagnose bringt keine unmittelbare Lösung. Denn die meisten Grundschulen sind weder personell noch fachlich ausreichend darauf vorbereitet, auf die spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit ADHS oder ADS einzugehen. Vielmehr wird ADHS/ADS zu einem weiteren ungelösten Problem im ohnehin überlasteten Bildungssystem. Die Schulen sind mit der Vielzahl von Kindern, die mit unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen haben – von Hochbegabung bis hin zu Teilleistungsstörungen – schlicht überfordert. Es gibt weder individuelle Förderung noch die nötige therapeutische Begleitung, die diese Kinder dringend benötigen.
Das Ergebnis? Statt gezielter Unterstützung und Ressourcen müssen Kinder mit ADHS/ADS oft einfach „durchkommen“ – und scheitern dabei. Sie werden zu Außenseitern in einem System, das nicht in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Und während die Gesellschaft von den Kindern verlangt, ihre individuellen Herausforderungen zu überwinden, bleibt den meisten nur eine schale Antwort: Sie sind nicht die Norm – und damit leider oft nicht willkommen.
Früher oder heute: Litten Kinder genauso oder war alles unbeschwerter?
Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob Kinder früher genauso litten wie heute oder ob damals alles unbeschwerter war. Es mag den Anschein haben, dass Kinder heute unter mehr Druck stehen, aber in vielen Fällen war der Leidensdruck schon immer da – nur eben ohne die Möglichkeit, ihn zu benennen. Früher gab es kaum Diagnosen und noch weniger Hilfe, was dazu führte, dass Kinder, die heute mit ADHS oder ADS diagnostiziert würden, als „unruhig“ oder „schwierig“ galten und oft ohne die notwendige Unterstützung in die Erwachsenenwelt hinaustraten. Viele von ihnen fanden sich in einem Leben wieder, das von Frustration und Missverständnissen geprägt war, ohne zu wissen, warum sie sich anders fühlten oder nicht mit den gleichen Erwartungen wie ihre Mitmenschen umgehen konnten.
Heutzutage gibt es zumindest eine Diagnose und ein wachsendes Bewusstsein für die Störung. Doch obwohl mehr Kinder als je zuvor erkannt und behandelt werden, ist der Druck auf sie größer als je zuvor. Die Anforderungen des Schulsystems sind hoch, und die sozialen Medien, die ständige digitale Vernetzung sowie die sich immer schneller verändernde Welt verstärken den Stress. Kinder mit ADHS/ADS stehen oft vor der Herausforderung, mit der Reizflut und den ständig wechselnden Anforderungen Schritt zu halten – eine Herausforderung, die sich viele Erwachsene selbst mit all ihrer Lebenserfahrung kaum stellen können.
Es mag also sein, dass Kinder früher weniger auf eine Diagnose stießen und „einfach durchkamen“, aber der Preis dafür war hoch: Sie wurden nicht verstanden, nicht unterstützt und mussten sich auf ihre eigene, oft fehlerhafte Weise durch die Welt schlagen. Heute, mit all den Herausforderungen der modernen Zeit, sehen wir viele der gleichen Schwierigkeiten – nur mit einem erhöhten Bewusstsein und einem Bildungssystem, das völlig desolat ist, um die spezifischen Bedürfnisse der betroffenen Kinder zu erfüllen. Der Fortschritt in der Diagnostik hat kaum etwas an den strukturellen Mängeln der Schulen geändert, die nach wie vor nicht in der Lage sind, eine wirklich individuelle Förderung zu bieten.
Der Nachteilsausgleich – ein Konzept mit fragwürdiger Wirkung ADHS/ADS bei Kindern
In Einzelfällen kann eine engagierte Lehrkraft einen echten Unterschied machen, doch häufig bleibt die Unterstützung auf einen Nachteilsausgleich reduziert. Dieser sieht meist nur vor, Kindern mit ADHS/ADS mehr Zeit für Klassenarbeiten zu gewähren. Doch wie viel bringt das wirklich? Verlängerte Arbeitszeiten adressieren weder die zugrundeliegenden Konzentrationsstörungen noch fördern sie die nötige Fokussierung. Das Ergebnis ist oft das gleiche: keine Verbesserung der Leistungen.
Obwohl das Schulministerium NRW einen Methodenkoffer für Kinder mit ADHS/ADS bereitstellt – mit Maßnahmen wie strukturierten Tagesabläufen, visuellen Hilfsmitteln, regelmäßigen Pausen und differenzierter Benotung – scheitern viele dieser Ansätze in der Praxis an bürokratischen Hürden, unzureichender Lehrerfortbildung und fehlender Unterstützung durch Schulpflegschaften. Was bleibt, ist die Theorie, die nicht in der Praxis ankommt – und die Kinder bleiben mit ihren Herausforderungen alleine.
Leistungsdruck und seine Folgen
Die Realität ist ernüchternd: Viele Kinder leiden unter dem hohen Leistungsdruck. Ihre Noten verbessern sich trotz des Nachteilsausgleichs oft nicht, was zu Frustration und Selbstzweifeln führt. Die Folge ist häufig eine Medikation, die zwar die Aufmerksamkeit verbessern kann, jedoch keine langfristige Lösung darstellt. Aufgrund langer Wartezeiten für therapeutische Maßnahmen - wie Verhaltenstherapie bleibt es oft bei einer Symptombehandlung, ohne die Ressourcen und Potenziale der Kinder wirklich zu fördern.
Am Ende der Grundschulzeit findet zudem eine Art "Aussieben" statt. Kinder mit ADHS oder anderen Auffälligkeiten werden nicht selten aufgrund von Stigmatisierung auf eine niedrigere Schulform empfohlen. Doch immer mehr Eltern ignorieren diese Empfehlungen und schicken ihre Kinder dennoch auf das Gymnasium. Hier zeigt sich jedoch ein weiteres Problem: Gymnasien sind oft am wenigsten auf die Bedürfnisse von Kindern mit ADHS und Teilleistungsstörungen eingestellt. Zu sehr waren sie verwöhnt, was die Selektion der Schüler betrifft. Während Lese-Rechtschreib-Schwächen (LRS) durch gezielte Maßnahmen und Benotungsanpassungen mehr Anerkennung finden, bleibt ADHS vielfach unverstanden und wird weniger gezielt gefördert.
Unentdeckte Talente: Warum impulsive und träumerische Kinder oft missverstanden werden
Kinder mit ADHS/ADS werden schnell als „Schläger“ oder „Störer“ abgestempelt, während „Träumerchen“ als desinteressiert gelten. Dabei verbirgt sich hinter diesen Etiketten außergewöhnliche Kreativität und Intelligenz. Leider bleibt dieses Potenzial oft ungenutzt, weil das Bildungssystem weder auf die Stärken der Kinder eingeht noch ihre individuellen Bedürfnisse versteht. Statt gezielter Förderung wird der Fokus auf die Unterdrückung von Impulsivität und Tagträumerei gelegt – häufig mit Medikamenten. Was diese Kinder brauchen, ist ein System, das ihre einzigartigen Denkweisen anerkennt und fördert.
Ein System, das die Kinder fallen lässt
Das Bildungssystem ist marode und überfordert. Trotz vorhandener Ansätze bleiben diese oft ungenutzt, während Kinder mit ADHS/ADS weiterhin unter Druck und Ausgrenzung leiden. Es ist ein Skandal, dass ein Methodenkoffer des Bildungsministeriums in Schubladen verstaubt. Die Folgen: emotionale Störungen, Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung. Es ist höchste Zeit, die Stärken dieser Kinder zu erkennen und ein Bildungssystem zu schaffen, das sie unterstützt, anstatt sie auszubremsen. ADHS ist keine „Modekrankheit“, sondern eine Herausforderung, die mit dem richtigen Ansatz bewältigt werden kann.
Liebe Eltern, haben Sie Geduld mit Ihren Kindern. Lassen Sie sich nicht von äußeren Druckquellen oder gesellschaftlichen Erwartungen entmutigen. Jedes kindliche Gehirn benötigt Zeit, um vollständig auszureifen, und das gilt besonders für Kinder mit ADHS/ADS. Diese Kinder kämpfen häufig mit einem Dopaminmangel, wodurch ihr Belohnungssystem gestört ist. Ihre Erfolge dürfen daher nicht an Ihre Liebe gekoppelt werden. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass es bedingungslos geliebt wird – unabhängig von seinen Leistungen. Positive Verstärkung, echtes Lob und Unterstützung sind entscheidend, um das Selbstbewusstsein Ihres Kindes zu stärken. Verhaltenstherapie und systemische Therapie sind effektive Wege, um tiefgehende Veränderungen zu erreichen, aber auch hier ist Geduld gefragt.
Was jedoch häufig übersehen wird, ist der zusätzliche Druck, den die heutige Medienwelt auf Kinder ausübt, insbesondere solche mit ADHS/ADS. Handys, Gaming und Apps fördern eine fragmentierte Aufmerksamkeit und verlangen ständige Reizverarbeitung in immer kürzeren Zeiträumen. Kinder, die ohnehin Schwierigkeiten mit der Konzentration haben, werden durch diese digitalen Ablenkungen zusätzlich überfordert. In einer Welt, in der 30 Sekunden der "idealen" Konzentrationszeit entsprechen, verlieren viele Kinder die Fähigkeit, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu fokussieren. Hier sind Sie als Eltern gefragt, bewusst gegen diese Strömung anzusteuern: Überwachen und regulieren Sie den Medienkonsum, setzen Sie klare Grenzen und sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind nicht nur von schnellen, oberflächlichen Reizen lebt. Schaffen Sie feste Zeiten für Mediennutzung und fördern Sie Aktivitäten, die tiefer gehende Konzentration und Ausdauer erfordern. Und ganz wichtig: Schaffen Sie Freiräume für die Langeweile!!!
In diesem Prozess sind Sie die unverrückbare Stütze für Ihr Kind. Bleiben Sie geduldig, stehen Sie hinter ihm wie eine Mauer und helfen Sie ihm, sich in dieser komplexen Welt zurechtzufinden. Denn trotz aller Herausforderungen haben wir es hier mit außergewöhnlichen Individuen zu tun, die – mit der richtigen Unterstützung und Führung – ein enormes Potenzial an Kreativität und Ressourcen in sich tragen. Dieser Weg erfordert Zeit, aber er lohnt sich. Ihr Kind hat alles, was es braucht, um zu wachsen – und Sie sind der Schlüssel, der ihm hilft, sein volles Potenzial zu entfalten.
ADHS/ADS bei Kinder
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